05 Grosszügigkeit

Leitsätze

  • Wir haben eine Überfluss-Mentalität
  • Anstatt alles mit Geld auszugleichen, haben wir den Mut, Geschenke anzunehmen und Geschenke zu geben
  • Wir freuen uns mit an Erfolgen von anderen

Erklärung

Kultur des Schenkens

„Sobald wirtschaftliche Beziehungen die Form einer bezahlten Dienstleistung annehmen, bleiben wir unabhängig von allen, die wir kennen, und werden durch das Geld abhängig von anonymen, fernen Dienstleistern. Das ist der Hauptgrund für den Verlust von Gemeinschaft in modernen Gesellschaften, und damit für Entfremdung, Einsamkeit und seelisches Leid. Darüber hinaus ist Geld ungeeignet, die Zirkulation und die Weiterentwicklung der nicht-quantifizierbaren Dinge, die das Leben erst reich machen, zu fördern.“ (Eisenstein, S. 344)

Wir versuchen, Bereiche von der (Geld-)Wirtschaft zurück zu erobern: Anstatt alles mit Geld auszugleichen, wollen wir den Mut haben, Geschenke zu geben und vor allem auch Geschenke anzunehmen.

Die Haltung des Gebers: „Ich gebe dir grosszügig und vertraue darauf, dass ich bekommen werde, was angemessen ist, sei es nun von dir oder von jemand anderem aus der Community.“

Für den Empfänger des Geschenkes gilt: Er soll das Geschenk „grosszügig“ annehmen. Er ist frei und hat keine Verpflichtung, dem Geber etwas zurück zu geben. Das Geschenk wird Dankbarkeit auslösen. Motiviert durch diese Dankbarkeit möchte der Beschenkte auch gerne wieder etwas in die Community zurück geben. Damit schliesst sich der Kreis.

Überfluss-Mentalität

Überfluss-Mentalität bedeutet, dass wir aus der Haltung heraus handeln, dass wir bereits alles haben, was wir brauchen. Tatsächlich gehen wir davon aus, dass wir so viel haben, dass wir bereit sind, anderen davon zu geben.

Viele Unternehmer handeln aus dem Gegenteil, einer Mentalität der Knappheit und des Mangels. Diese Haltung ist geprägt von Angst, nicht genug für sich zu haben. Je mehr man sich sorgt um die Dinge, die man nicht hat, desto verzweifelter plant man, wie man mehr hamstern kann.

Anstatt uns in diesem Kreis zu drehen, sagen wir: „Wir haben genug, ja sogar mehr als genug.“ (Siehe Eisenstein, Kapitel 2 - Knappheit - eine Illusion)

Dankbarkeit führt zu Grosszügigkeit

Zu Realisieren, was mir als Individuum alles geschenkt wurde, löst eine Grosszügigkeit aus, welche mich dazu veranlasst, eine andere Person zu beschenken. Was die Dankbarkeit noch nicht macht, geschieht durch die Grosszügigkeit: durch das Schenken entsteht Community.

Habe ich das wirklich “verdient”?

Wie können wir eigentlich denken, dass wir einen Lohn „verdienen“ und wir eigenmächtig darüber verfügen können? Wir handeln ja mit Dingen (Zeit, Leben, Talente, Ressourcen, etc.) welche uns geschenkt wurden (siehe auch Wert der Dankbarkeit).

Aristoteles hat unterschieden zwischen zwei Arten von Reichtum: eine, in der es um reine Anhäufung geht, und die andere, bei der die Erfüllung von Bedürfnissen von anderen im Vordergrund steht. Die erstere bezeichnet er als „unnatürlich“, weil sie keine Grenze kennt.

Vielleicht liegt der echte Wert unseres Geldes also in dessen Verfügbarkeit für die Community und die Gesellschaft?

Umsetzungsbeispiele zur Inspiration

Weniger gegenseitig mit Geld bezahlen für mehr Gemeinschaft

Nehmen wir mal folgende Situation als Annahme: Ich brauche ein kurzes Video und bitte jemanden aus der Community darum, dass er mir dabei hilft. Er braucht dafür einen Tag Arbeit.

Jetzt gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie wir das gemeinsam regeln. Automatisch tendiere ich dazu, ihn für seine Arbeit mit Geld zu bezahlen. Das ist das, was wir täglich in der Wirtschaft üben. Mit Geld als Gegenleistung ist es für mich auch am einfachsten, da nachher alles ausgeglichen ist und ich der anderen Person nichts mehr schuldig bin. Das Bezahlen mit Geld drückt auch aus, dass ich ihn nicht wirklich „brauche“. Ich könnte mir ja mit diesem Geld die Video-Dienstleistung auch von jemand anderem kaufen. Das ist nicht unbedingt schlecht, schafft aber auch keine (tiefere) Gemeinschaft zwischen der anderen Person und mir, da wir möglichst unabhängig voneinander bleiben.

Was wäre aber, wenn die andere Person mir diesen Tag seiner Arbeit schenkt? Das ist schwierig - für mich vielleicht mehr als für ihn. Geschenke einfach so anzunehmen - davor haben wir Angst. Ich sage lieber: „Ich kann schon dafür bezahlen.“ Und drücke damit aus, dass ich nicht wirklich auf ihn angewiesen bin.

Sagen wir aber mal, ich nehme das Geschenk an, ohne direkt etwas dafür zu geben. Diese Grosszügigkeit der anderen Person macht mich dankbar. In den nächsten Wochen überlege ich mir ab und zu, wie ich ihm gegenüber meine Dankbarkeit ausdrücken könnte und tue es auch. Vielleicht gibt es gerade nicht viel, aber weil ich mich so „beschenkt“ fühle, schenke ich auch gerne meine Zeit an andere Personen in der Community weiter.

Was passiert also, wenn es ein Geschenk ist, anstatt dass ich dafür bezahle? Zuerst schafft es Dankbarkeit. Dies ermutigt mich, die andere Person und seine Bedürfnisse kennen zu lernen, damit ich ihm gegenüber auch mal grosszügig sein kann. Dies schafft Verbindung und Gemeinschaft. Dann schliesslich hat es auf die ganze Community Auswirkungen, da ich ermutigt bin, auch gegenüber anderen grosszügig zu sein.

„Trading in social capital puts the emphasis on building relationships, rather than on the transaction. This type of capital binds a community together. There is a ‘pay it forward’ mentality allowing participants to be altruistic and make a difference on a daily basis. The result is a broader radius of trust which extends by growing the network of social interactions, allowing for deeper engagement and increased authenticity.” (http://whatisgangplank.com/social)

Gemeinsamer Topf

Vielleicht könnte die Idee des gemeinsamen Topfes das grosszügige Verhalten etwas erleichtern.

So könnte ein gemeinsamer Topf aussehen: Man gibt sein Einkommen in einen gemeinsamen Topf. Aus diesem Topf wird dann jeder zu gleichen Teilen entschädigt. Wer nur einzelne Tage arbeitet, würde den entsprechenden Anteil erhalten.

10% in andere investieren

Wir hatten die Idee, 10 Prozent unserer Arbeitszeit anderen Leuten innerhalb oder auch ausserhalb der Coworking-Community zur Verfügung zu stellen. Es geht darum, nicht nur den Arbeitsort sondern auch die Zeit miteinander zu teilen.

Hier ist aber die Gefahr, dass man dann plötzlich innerlich denkt, dass man ja das Recht auf die Hilfe der anderen Personen in der Community hat und es nicht mehr ein Geschenk sondern ein Handel von Zeit wird. Spannend wäre deshalb auszuprobieren, diesen Wert auch wirklich in der Form zu leben, dass man in den gleichen Topf wirtschaftet, einander viel mehr Zeit schenkt, etc.

Kunden etwas Persönliches schicken

Eine Mitarbeiterin von Buffer setzt die Hälfte ihrer Arbeitszeit dafür ein, den Kunden Geschenke und handgeschriebene Karten zu schicken! Sie schreibt:

“We operate out of a spirit of abundance and will send goodies to anyone, (pretty much) anywhere!” (https://open.bufferapp.com/community-delight/)

Quellen

  • Charles Eisenstein, Sacred Economics - Money, Gift & Society in The Age of Transition, 2011.
  • Charles Eisenstein, Keine Forderung kann gross genug sein - Die Revolution der Liebe, 2011, S. 16.
  • Lukas 6,38 (Bibel), Gebt und es wird euch gegeben werden.
  • Lukas 14,12-14 (Bibel), Überfluss ermöglicht zu geben - Nicht nur dort geben, wo man direkt etwas zurück erhält.
  • Matthäus 5,38-42 (Bibel), Geben über das hinaus, was erforderlich wäre.
  • Dark Horse, Thank God It’s Monday, Berlin 2014.
  • Nicole Miller (Buffer), Inside Buffer’s Community Delight Headquarters: How and Why We Send Swag and What It All Costs, erschienen am 27.4.2015, abgerufen am 27.5.2015, https://open.bufferapp.com/community-delight/