Coworking Space zusammen betreiben

Coworking

Vor zwei Wochen haben wir einen genaueren Finanzplan für den Coworking Space aufgestellt. Wir gingen vom Offensichtlichen aus: Es gibt einen Space. Ein oder zwei Personen tragen die Verantwortung für den Betrieb und beziehen dafür einen Lohn. Die Coworker sind die Kunden, welche für ihren Arbeitsplatz eine Miete bezahlen.

Vermieter mit ihren Kunden — eigentlich wollten wir genau das nicht sein! Wir wollten doch selber Teil sein der Community von Ähnlichgesinnten und nicht Anbieter, die sich ihre Kunden suchen.

Wäre es denkbar, dass ein Coworking Space auch als Gemeinschaft geführt werden könnte? Die beiden Bücher Thank God It’s Monday und Reinventing Organizations haben uns Mut gemacht, dass es andere Modelle gibt, die sich auch in der Praxis bereits bewährt haben.

Verschiedene Rollen

In einem gemeinschaftlich geführten Space würden die Coworker die Verantwortung für selbstgewählte Rollen übernehmen.

Mögliche Rollen wären zum Beispiel:

  • Besuchstourguide
  • Neueinsteigerbegleiter
  • Moderator
  • Schatzmeister
  • Kurator
  • Raumkosmetiker
  • Informationsdienstleister
  • Journalist
  • Angebotsautor
  • Weiterbildungsbeauftragter
  • Klimawächter
  • Verhandlungsführer
  • Festmeister
  • Task-Force-Mitglied
  • Ideengeber
  • Quertreiber
  • usw.

Neue Rollen werden laufend, je nach Bedarf, hinzugefügt oder auch wieder abgeschafft. Sobald jemand eine Notwendigkeit oder eine Chance für eine neue Rolle sieht, ist er dafür verantwortlich, dass er entweder selber diese Rolle übernimmt oder sich dafür einsetzt, dass jemand anderes diese übernimmt.

Die Rollen können untereinander getauscht werden, aber es ist jederzeit transparent für alle ersichtlich, wer welche Verantwortungen trägt. Auf welche Art jemand seine Rolle wahrnimmt und wie lange er oder sie dafür benötigt, ist der jeweiligen Person überlassen.

Durch einen gemeinschaftlich geführten Coworking Space ergibt sich eine ganz neue Perspektive für die Coworker. Sie sind nun nicht bloss “Kunden”, die einen Arbeitsplatz mieten, sondern sie können selber ihren Arbeitsraum soweit mitgestalten und mitprägen, wie sie es möchten.

Fällen von Entscheidungen

Täglich müssen kleinere und grössere Entscheidungen gefällt werden. In einer klaren Hierarchie, mit Space-Betreibern und Kunden, werden Entscheidungen meist von den Betreibern gefällt. Wenn aber die Hierarchien abgeschafft werden, braucht es andere Formen der Entscheidungsfindung.

Um unnötige Sitzungen zu vermeiden, sollten die meisten Entscheidungen selbständig mit dem sogenannten Beratungsprozess gefällt werden. Bei manchen Entscheidungen ist es aber nötig, eine grössere Gruppe zu involvieren. Dafür bieten sich soziokratische Entscheidungen an. Beides wird hier vorgestellt.

Beratungsprozess

Beim Beratungsprozess muss die Person, welche eine Entscheidung fällen will, betroffene Kollegen sowie Experten um Rat fragen. So lernt er Einwände, Fragen und Ideen von Kollegen kennen. Nachdem die Person sich offen die Ratschläge angehört hat, fällt diese selbständig eine Entscheidung.

Weitere Informationen zum Beratungsprozess sind im Buch Reinventing Organizations unter dem Begriff “Self-management” zu finden (das Buch ist ab April 2015 auch auf Deutsch erhältlich). Wer lieber einen Film dazu schaut: ein Vortrag von Laloux auf Englisch und auf Französisch.

Soziokratie statt Demokratie

Auch für Sitzungen, in denen eine ganze Gruppe zu einer Entscheidung kommen muss, brauchen wir ein effizientes und sinnvolles Vorgehen.

Ohne Hierarchie gibt es keine Vorgesetzten, die Entscheidungen durchsetzen könnten. Gut schweizerisch tendieren wir also zur Demokratie. Bei demokratischen Entscheidungen muss man (beim einfachen Mehr) mehr als die Hälfte der Stimmen auf seine Seite bringen. Es kann also vorkommen, dass 49% mit einem Vorschlag nicht einverstanden sind, dieser aber trotzdem angenommen wird. Hinzu kommt, dass man bei demokratischen Entscheidungen meist die Gründe von Personen für Zustimmung, Ablehnung oder Enthaltung nicht erfährt. Der Demokratie haben wir viel zu verdanken, aber es ist für die Motivation in einer Gruppe nicht förderlich, wenn die Widerstände einfach demokratisch überstimmt werden.

Damit die Minderheit nicht übergangen wird, versucht man es mit dem Konsens. Dabei wird so lange über einen Vorschlag diskutiert, bis alle einverstanden sind. Das kann eine Weile dauern! In diesem Prozess muss der Vorschlag meist stark verwässert werden, damit er von allen akzeptiert wird. Oft ist dann die Person, die den Vorschlag ursprünglich eingebracht hatte mit der verwässerten Variante auch nur halb zufrieden und wenig motiviert, diesen Kompromiss schliesslich umzusetzen.

Wie sollen also möglichst viele mit ihren Bedürfnissen und Meinungen berücksichtigt werden, ohne dabei in die Konsensfalle zu geraten?

Eine bewährte Methode ist die Soziokratie. In der Soziokratie geht es nicht darum, zu etwas ja zu sagen, sondern nicht nein zu sagen. Ein Vorschlag wird dann angenommen, wenn keiner einen schwerwiegenden Einwand dagegen vorbringt. Warum dies funktioniert, kann man am besten nachvollziehen, wenn man den Ablauf eines solchen Entscheides anschaut:

  1. Zuerst präsentiert eine Person ihren Vorschlag.
  2. Als nächstes können klärende Fragen gestellt werden. Es geht vorerst nur um das Verständnis und nicht um Meinungen. Der Moderator des Treffens greift ein, wenn bereits jetzt Meinungen geäussert werden.
  3. In einer weiteren Runde kann jede Person ihre Meinung äussern.
  4. Basierend auf den vorherigen Äusserungen kann die vorschlagende Person ihren Vorschlag nochmals neu formulieren.
  5. Schliesslich stellt der Moderator die Frage, ob jemand einen schwerwiegenden Einwand gegen den Vorschlag äussern möchte. Falls ein begründeter Einwand geäussert wird, wird der Vorschlag abgelehnt. Ansonsten wird davon ausgegangen, dass alle damit leben können und der Vorschlag wird angenommen.

Durch diesen Prozess wird sichergestellt, dass jede Meinung angehört wird. Jede einzelne Person wird ernst genommen und hat quasi ein Veto-Recht, denn jeder kann mit einem schwerwiegenden Einwand einen Vorschlag stoppen. Ein solcher Einwand muss aber gut begründet werden, was bewirkt, dass es nicht allzu oft vorkommt. Soziokratie ist damit sehr fair und effizient. Auch die Person mit dem Vorschlag ist am Schluss motiviert: Ihr Vorschlag wurde nicht verwässert, sie hat wertvolles Feedback erhalten und falls der Vorschlag angenommen wurde, weiss sie, dass es keinen schwerwiegenden Einwand gibt und somit alle hinter der Entscheidung stehen können.

Fazit

Ich finde den Ansatz enorm motivierend, einen Coworking Space als Community zu betreiben. Damit dies möglich ist, braucht es klare Strukturen. Mit Rollen, dem Beratungsprozess und soziokratischen Entscheidungen sollte so etwas möglich sein.

Was meinst du dazu? Wärst du gerne bei einem solchen Coworking Space dabei?

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